Schon vor Beginn des Referendariats erfolgt häufig ein ritueller Quasi-Abschied aus dem normalen Leben. Horrorgeschichten von Referendar*innen, die verlassen werden, sich nicht mehr mit Freund*innen treffen können, weil sie die Nacht am Schreibtisch verbringen, um überflüssige seitenlange Unterrichtsentwürfe zu verfassen und schließlich die Angst vor den Fachleiter*innen und der Schülerschaft, die nur darauf wartet, die Grenzen der angehenden Lehrkraft täglich brutal zu testen. Ich habe das Referendariat vor 12 Jahren absolviert und … überlebt. Auch wenn die Einleitung in Teilen überspitzt formuliert ist ( 2-3 Stunden Schlaf waren auf jeden Fall drin!), so ist es eine besonders intensive Zeit gewesen, aus der viele meiner Kommiliton*innen verändert herausgegangen sind. Meine Freude am Lernen, am In Beziehung Treten mit Erwachsenen und Kindern als Lernende, hat mich dazu bewogen, 2013 am Studienseminar als Fachleiterin für das Fach Französisch anzufangen.
Staatlich finanziertes Coaching?
Fachleiter*innen haben neben der Gestaltung von pädagogischen und fachdidaktischen Seminaren die Aufgabe, angehende Lehrer*innen in ihrem Entwicklungsprozess zu begleiten. Wie kann eine zukünftige Lehrkraft die theoretischen Kenntnisse des Studiums im Schulalltag anwenden? In welchen Bereichen bedarf es eines intensiveren Trainings, eines theoretischen Inputs, einer Ressourcenstärkung und Wertschätzung? Wie werden Beziehungen gestaltet? Dies passiert über den kollegialen Austausch im Seminar, in Unterrichtsbesuchen und in Beratungsgesprächen. Das klingt an und für sich ja erstmal toll, dass es eine begleitete Übergangsphase zwischen Studium und Berufstätigkeit gibt, in der man sich austauschen und weiterbilden kann. Man stelle sich eine solche Institution für Softwareentwickler*innen, BWLer*innen oder Projektmanager*innen vor, in der es neben fachlichem Input auch eine persönliche und prozessorientierte Professionalisierungsphase durch Expert*innen gäbe, eine Art Coaching finanziert vom Staat.
Meine Tätigkeit als Fachleiterin habe ich in vielen Bereichen besonders geschätzt. Ich konnte immer wieder einen Perspektivwechsel einnehmen, mich austauschen, Schulen in ihren Entwicklungsprozessen kennenlernen. Ich habe mich selbst intensiv in meinem Kommunikationsverhalten, der Beratungstätigkeit und der Pädagogik weiterbilden können- theoretisch und praktisch. Erfolge konnte ich mit anderen feiern und Entwicklungen begleiten. Wo ist der Haken?
Hilfe zur Selbsthilfe
Ich erinnere mich noch an ein Wochenendseminar bei einer wunderbaren Dozentin zum Thema Beratung in der Schule. Schon im vorbereiteten Text wurde auf ein erstes Dilemma der Beratungspraxis hingewiesen, das mich letztlich auch in meiner Tätigkeit als Fachleiterin stets begleitete: Beratung basiert in der Regel auf Freiwilligkeit. Ein Ratsuchender geht zu einem Ratgebenden seiner Wahl zu einem Zeitpunkt seiner Wahl. Dieses Dilemma besteht generell in der Schulpraxis bei Laufbahnempfehlungen, Schüler- und Elterngesprächen und sogenannten Dienstberatungen. Lernende erhalten Zwangsberatungen bei schlechten Noten, auffälligem Verhalten etc.
Referendar*innen werden grundsätzlich in der Auswertung nach einem Unterrichtsbesuch beraten, also nach einer konkreten, gemeinsam geteilten Erfahrung im Schulkontext. Gemeinsam sollen im Gespräch Ressourcen gestärkt und mit sinnvollen Fragen Impulse gesetzt werden. Diese Krux des Zwangskontexts kann zu Beginn der Ausbildung thematisiert werden. Doch es bleibt ein Geschmäckle. Ganz unabhängig davon entsteht auf Seiten der Referendar*innen der (un)ausgesprochene Wunsch nach konkreten Rezepten, Ansagen und Methoden, um analysierte Herausforderungen zu meistern. Wenn ich mir schon nicht aussuchen kann, wer mich wann berät, dann möchte ich konkrete Handlungsanweisungen, wie ich es zu machen habe, damit ich die Erwartungen erfülle. Dann wird Beratung allerdings nicht als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden, was unmittelbar mit dem nächsten Punkt zu tun hat.
Die Not der Note
Das 2.Dilemma schwingt genauso von Anfang an in der Beziehung zwischen Fachleiter*in und Referendar*in mit: Der Entwicklungsprozess und Lehrproben werden benotet. Spätestens mit der ersten Lehrprobe läuft fast jedes Beratungsgespräch mit dem Hintergedanken der Benotung ab. Aus Sicht der Referendar*innen kann jede Aussage gegen sie verwendet werden. Was gebe ich als Schwäche preis? Wo sollte ich Kompetenz vorgeben, obwohl ich eigentlich Unterstützung bräuchte? Wie sehr gebe ich eine Entwicklung vor, die so gar nicht stattgefunden hat? Meint die Fachleiter*in auch das, was sie sagt? Wenn die Wertschätzungsrunde zu Ende ist, dann kommt sowieso das große Aber. Für Referendar*innen spielt die Note in vielfacher Hinsicht eine zentrale Rolle. Einerseits wird sie noch als Spiegel der eigenen Anstrengung und Anerkennung verstanden, andererseits öffnen oder verschließen sich damit Türen an der Wunschschule in der Wunschstadt.
Wesentliche Prinzipien professioneller Beratung werden durch die Benotung verletzt, denn als Fachleiter*in bin ich nicht ganz unabhängig, ein Vertrauensverhältnis kann ggf. nur eingeschränkt entstehen, weil Sicherheit fehlt. Ein aktiver Lernprozess kann letztlich durch die Angst vor Konsequenzen blockiert werden und entsprechend negative Folgen nach sich ziehen. Selbst wenn ich mich als Fachleiter*in um eine zugewandte, empathische und wertschätzende Atmosphäre bemühe (wie so viele meiner Kolleg*innen), so können die Sorgen und Ängste der Referendar*innen nur bedingt aufgefangen werden.
Als Fachleiterin fiel es mir leicht, Gutachten und ausführliche Lernberichte zu verfassen, aber irgendwann musste die Ziffernote festgelegt, die nicht mal ansatzweise ausdrückt, was Referendar*innen geleistet haben und wie sie sich entwickelt haben. Ich möchte gern weiterhin Menschen in ihrem Entwicklungsprozess begleiten- ganz ohne Ziffernoten!
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