Es ist der letzte Schultag und während die Schüler*innen mit ihren Zeugnismappen im Ranzen jubelnd durch die Schultür gen Ferien stürmen, treffen sich alle Lehrer*innen zur letzten Dienstberatung des Schuljahres. Mitunter herrscht eine heitere Stimmung, Erleichterung über das Geschaffte und teilweise auch große Erschöpfung und Traurigkeit über Kolleg*innen, Referendar*innen oder Praktikant*innen, die verabschiedet werden. Es gibt Blumen, Präsente und Lob. Das zurückliegende Schuljahr wird nochmal querbeet durch die Fachschaften beleuchtet. Welche Plätze haben Schüler*innen beim städtischen Basketball- oder Fußballturnier belegt? Welche Fremdsprachenwettbewerbe wurden erfolgreich bewältigt? Vielleicht gab es sogar einen Geschichtswettbewerb oder ein anderes medienwirksames Projekt, das nochmal hervorgehoben werden soll? Welche Chorauftritte und Theateraufführungen bleiben im Gedächtnis? Den vielen beteiligten Kolleg*innen, die sich über ihr normales Stundendeputat hinaus mit Aufwand, Zeit, und Organisationen engagiert haben, wird Dank ausgesprochen. Je nach Schulleitung und Redner*in kann das Lob eher spartanisch ausfallen („Nicht kritisiert ist genug gelobt“) oder etwas ausführlicher. Dann gibt es noch Aussichten auf die Vorbereitungswoche, die zukünftigen neuen Klassen, die ein oder andere Herausforderung wird thematisiert und schließlich beginnt die unterrichtsfreie Zeit.
Fehlende Anerkennung
Doch es bleibt ein fader Beigeschmack, der teilweise tuschelnd geäußert oder lediglich gespürt wird. Während sich die Lehrer*innen von wettbewerbsarmen Fächern als nicht gesehen erleben, fühlen sich Klassenlehrer*innen mit ihrer aufwendigen Tätigkeit trotz der Erwähnung und des Lobs nicht ausreichend wertgeschätzt. Einstundenfächer haben kaum die Möglichkeit, sich über ihre 45Minuten hinaus mit besonderen Leistungen zu engagieren. Ist ihre Arbeit deswegen weniger lobenswert? Entscheidet sich die Schulleitung dafür, die alltägliche Arbeit des Teams zu loben, fühlen sich wiederum Musik- oder Sportlehrer*innen nicht beachtet, weil sie zeitintensive Proben und Konzerte durchgeführt haben. Schon beginnt ein Teufelskreis aus Wut, Frust, manchmal Neid und Traurigkeit. Das Gefühl, mit den eigenen Anstrengungen nicht gesehen zu werden, bleibt bei einem Großteil der Kolleg*innen hängen, teilweise sogar bei denen, die Blumen erhalten haben. Es scheint so, als könnte es die Schulleitung nur falsch machen, obwohl sie sich gerade darum bemüht, ihrem Kollegium zum Schuljahresabschluss Anerkennung entgegenzubringen. Um eins klarzustellen: Mir geht es hier nicht darum, Schulleiter*innen grundsätzlich in ihrem Verhalten zu kritisieren. Ich sehe dahinter eher ein sprachliches und strukturelles Problem. Sie haben im derzeitigen institutionellen Rahmen kaum Möglichkeiten, als autonome Führungskräfte zu agieren und Wertschätzung anders auszudrücken als durch Lob in der Dienstberatung.
Darüber hinaus fällt mir im Rückblick und in Gesprächen mit Pädagog*innen auf, dass es vor allem im Schulalltag an Wertschätzung mangelt. Es scheint fast so, als würde sich der Rotstiftfokus bei der Bewertung von außen fortsetzen. Auch in Gesprächen über Schule und Lehrkräfte gibt es moralische Verurteilungen und den Fingerzeig auf alles, was noch nicht klappt (da nehme ich mich gar nicht raus!)
Prozess- statt Ergebnisorientierung
Wenn ich vor allem Leistungen in ihrem Ergebnis honoriere, dann erscheinen alle Anstrengungen, die nicht unbedingt urkundentauglich sind, weniger wertvoll. Doch kann es nicht auch ein Erfolg sein, mit bestimmten Eltern eine konstruktive Zusammenarbeit erreicht, Lernende für ein Thema gewonnen, in einer herausfordernden Lerngruppe eine Gruppenarbeit organisiert oder ein digitales Tool ausprobiert zu haben? Wenn im Schulhaus immer nur besonders gelungene Bilder und Urkunden ausgehangen werden, vermitteln wir dann nicht auch den Lernenden, dass nur Ergebnisse zählen? Läuft es dann nicht wieder auf die Ziffernnote und das Bienchen als extrinsische Motivation hinaus statt auf echte Lernfreude? Was bringt mir (im schlimmsten Fall) ein einmaliges Lob im gesamten Schuljahr, wenn ich mich jeden Tag engagiere, selbst weiter entwickle und Herausforderungen meistere, auch wenn diese nicht Louvre- bzw. medaillenreif sind? Aber eine Schulleitung, die in einer solchen Dienstberatung sagen würde: „Toll Frau Müller, dass Sie es dieses Jahr geschafft haben, mit Familie Weber ein Gespräch zu führen.“ würde vielleicht auch in ihrem Bemühen, Anerkennung zu zeigen, nicht ernst genommen werden.
Der Teufelskreis des Lobs
Darüber hinaus führt eine Ergebnisfixierung dazu, Rückschritte oder Fehler eher zu vertuschen. Es scheint wichtiger „sich als kompetent und erfolgreich zu inszenieren, um die Belohnung zu bekommen[…]“.[1] Hella Dietz macht in ihrem Artikel „Loben ist das neue Strafen“ noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. Es müsste unerwartet erfolgen, um nachhaltiger zu erscheinen. Da alle wissen, dass spätestens in der letzten Dienstberatung vor den Ferien Lob ausgesprochen wird, reduziert dies gleichzeitig die motivierende Wirkung.
Meistens ist es eine etwas unangenehme Situation gelobt zu werden und wir neigen dazu, das Lob zu relativieren („Du hast aber ein schönes Arbeitsblatt entwickelt.“ „Naja, das ging eigentlich ganz schnell.“) Wenn ich auf eine umfangreiche Seminarvorbereitung ein „Du warst aber fleißig!“ bekomme, dann weiß ich nicht, ob ich weinen oder vor Verzweiflung lachen soll. Der Versuch, mir Anerkennung zu zeigen, endet bei mir eher in der Gedankenschleife: „War ich so schlecht, dass mein Fleiß hervorgehoben wird? Was habe ich falsch gemacht?“
Wertschätzung ausdrücken statt loben
Hinter Lob steht ursprünglich die Idee des operanten Konditionierens. Indem ich Verstärker, also Lob oder Belohnung einsetze, kann ich erwünschtes Verhalten fördern. Dieses Wissen führt bei Erwachsenen tendenziell auch zu dem kritischen Hinterfragen, welche Intention die lobende Person eigentlich hegt. Letztlich basieren Lob und Komplimente darauf, dass es ein Richtig und ein Falsch gibt, sie implizieren moralische Urteile. Es besteht die Gefahr, dass sie bei mir verstärken, dass ich mich so verhalte, wie es erwünscht ist, um gemocht zu werden und es fördert gleichzeitig ein Beziehungsgefälle.
Und jetzt? Nicht mehr loben? Nein, ganz im Gegenteil. Der Unterschied liegt für mich in der Formulierung und dafür kann die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) eine nachhaltige Orientierungshilfe sein. Wertschätzung könnte so fest in den Schulalltag integriert werden und nicht nur als Highlight am Jahresende.
Wenn ich eine Beobachtung mit einem Gefühl und einem erfüllten Bedürfnis verknüpfe, dann bereichere ich nicht nur das Leben des anderen, sondern auch mein eigenes. Denn ich zeige dem anderen, dass ich ihn mit all seinen Bemühungen sehe und werde mir gleichzeitig darüber bewusst, welches Bedürfnis dadurch bei mir erfüllt wurde. Wenn also z.B. das Gespräch mit Familie Weber stattgefunden hat, dann könnte Wertschätzung so aussehen: „Frau Müller, wenn ich höre, dass Sie ein Gespräch mit Familie Weber geführt haben, dann bin ich erleichtert, weil mir die Zusammenarbeit mit den Eltern wichtig ist.“ Ich bin der festen Überzeugung, dass es dafür auch nicht immer die große Bühne braucht. Es sind gerade im stressigen Alltag diese kleinen Momente des Innehaltens, die Kraft spenden.
Erfolge und Anstrengungen gemeinsam feiern
Die aufwendige Vorbereitung eines Seminars könnte folgendermaßen kommentiert werden: „Du hast für das Seminar verschiedene fachlich relevante Methoden integriert und Handreichungen entwickelt. Ich bin froh, weil mir Tiefgründigkeit und Genauigkeit wichtig sind.“ Damit diese Wertschätzung authentisch und glaubhaft ist, braucht es die Grundhaltung, dass ich den anderen mit seinen Erfolgen feiere und die erfüllten Bedürfnisse im Blick habe. Wenn es am Ende um Manipulation von hinten durch die kalte Küche geht, könnte es schwierig werden.
Diese Ausdrucksweise kann auch in der großen Dienstberatung genutzt werden, um Veranstaltungen und Wettkämpfe zu feiern, denn damit werden natürlich auch Bedürfnisse erfüllt. Wenn sich alle als gesehen erleben, dann schätzen sie auch die Arbeit der anderen und es kann sich außerdem langfristig als Form der Rückmeldung gegenüber Schüler*innen etablieren.
Schließlich können Erfolge beispielsweise auf einer Wertschätzungstafel sichtbar gemacht werden, an der jede*r seine eigenen oder die beobachteten Ereignisse auf einen Zettel notiert und anpinnt. Eine Wertschätzungsrunde zu Beginn von Zusammenkünften, die auf einer Beobachtung, dem Gefühl und erfüllten Bedürfnissen basiert, erhöht die konstruktive Zusammenarbeit, weil es darum geht, miteinander im Hier und Jetzt in Beziehung zu treten. Der Rotstiftfokus tritt in den Hintergrund und eine höhere Zufriedenheit kann erlebt werden. Wie wäre es, wenn sich Lehrkräfte als Ritual gegenseitig Wertschätzung aussprechen und dies nicht nur von der Schulleitung erwartet wird?
Wenn du lernen und üben willst, wie du die GFK für ein wertschätzendes Miteinander integrieren kannst, dann könnten folgende Veranstaltungen genau das Richtige für dich sein:
„Was soll denn das!“ Onlinereihe zum wertschätzenden Miteinander im Schulalltag
„Das will ich aber überhört haben!“ Einführungsseminar in die GFK im Schulalltag
[1] https://www.zeit.de/kultur/2017-03/erziehung-belohnungen-psychologie-verhalten-motivation-10nach8