Das Klischee der Lehrperson als Einzelkämpfer:in hält sich wacker und wurde in einer 2018 veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Schulakademie bestätigt. Die Mehrheit der Lehrer:innen bereiteten ihren Unterricht eher allein vor als im Team, was vor allem den Rahmenbedingungen geschuldet sei. Fehlende gemeinsame Präsenzzeiten und Räume erschweren eine Kooperation enorm. Trotz einiger sehr erfolgreicher Teamteachingformate oder Jahrgangsteams an Einzelschulen ist es immer noch an den allermeisten Regelschulen Standard, dass eine Lehrperson Unterricht, Elternabende, Gespräche mit Lernenden oder Eltern allein vorbereitet, hält und auswertet. Dabei gibt es zwar viele Pädagog:innen, die sich mehr Kooperation wünschen, ihr aber auch aus verschiedenen Gründen kritisch gegenüber stehen.
„Das hier ist Krieg, den Sie jeden Tag neu gewinnen müssen.“
Die Metapher „Einzelkämpfer:in“ impliziert ein Rollenbild, in dem es darum geht, ein Gefecht zu gewinnen und ich frage mich, gegen wen. Kämpft die Lehrperson gegen die Schüler:innen? Gegen deren Unwissen? Gegen deren Übermacht? Gegen das Alleinsein? Mit welchen Waffen wird gekämpft? Noten? Strafender Macht? Manipulation? Ist es nicht ein Kampf, der nur verloren werden kann, wenn ich die Rolle von Lehrpersonen als eine kriegerische definiere? Allein der Gedanke daran, dass ich täglich im Klassenraum ums Überleben kämpfe, lässt mich erschaudern. Damit ist eine gleichwürdige Beziehung auf Augenhöhe ausgeschlossen. Vielmehr spüre ich die tägliche Angst auf beiden Seiten, als Verlierer:in das Schlachtfeld zu verlassen, die Müdigkeit, sich täglich diesem Kampf neu auszusetzen und die Verletzungen, die davongetragen werden. Wer jetzt meint, dass ich mich hier unangemessen dem Mittel der Übertreibung bediene, dem möchte ich sagen, dass ich es als Fachleiter:in immer wieder so berichtet bekommen habe. Lehramtsanwärter:innen wurde mit Kriegsmetaphorik vermittelt, dass sie sich im Krieg befänden und den Machtkampf auf keinen Fall verlieren dürften. Und wenn dem doch so ist, dann sollte darüber möglichst nicht gesprochen werden. „Sag mal, die 8c, wie ist die so bei dir?“- „Ach, alles bestens. Bei mir spuren die! Bei dir etwa nicht?“
Kooperation als Beschäftigungstherapie?
Doch selbst bei Lehramtsanwärter:innen ist Kooperation keine Selbstverständlichkeit. Wurden am Studienseminar in allgemeinen Seminaren kooperative Lernformen erprobt, dann war häufig zu hören, dass die Beteiligten gerade Wichtigeres zu tun hätten und es ja wohl auch reiche, sich eine Zusammenfassung dazu durchzulesen. Braucht es wirklich ein Gruppenpuzzle? „ Wir sind doch nicht blöd und können uns Methoden auch effizienter erschließen!“ Die gemeinsame Planung von Unterricht war zwar interessant und hilfreich, aber der Hinweis auf den wahnsinnigen, alltagsuntauglichen Zeitaufwand ließ nicht lange auf sich warten. Auch der Austausch von Materialien fand mitunter nur einseitig statt und zur Verfügung gestellte Plattformen blieben ungenutzt. Sicher sind auch hier strukturelle Ursachen an oberster Stelle, doch wenn bereits in der Ausbildung Kooperation eher als Beschäftigungstherapie empfunden wird, dann hält es auch nicht unbedingt danach Einzug im Berufsalltag. Absurderweise wollen wir mit kooperativen Lernformen die Sozial- und Selbstkompetenz der Lernenden fördern, entscheiden uns aber selbst eher dafür, etwas allein vorzubereiten. Schüler:innen wird regelmäßig vorgeworfen, dass sie sich an Gruppenprozessen nicht ausreichend beteiligen. Wie würde sich das auf Lernende auswirken, wenn sie gelebte Kooperation zwischen den Pädagog:innen erführen!
Wer macht mit?
Wenn es darum geht, etwas an Schule zu verändern oder das pädagogische Konzept zu entwickeln, wird der Wunsch nach Kooperation wiederum sehr groß. Wie kann ich etwas bewegen oder andere für eine Idee begeistern? Wie toll wäre es, wenn neue Ansätze nicht nur im eigenen Unterricht, sondern in der Schulkultur Einzug hielten? Wie kann ich andere Kolleg:innen für ein Projekt gewinnen? Diese Fragen stellen sich auch immer wieder Seminarteilnehmende, die sich für ein wertschätzendes Miteinander im Schulalltag einsetzen und die hilfreiche Sprache der Gewaltfreien Kommunikation in ihre Kollegien tragen möchten. Wie stelle ich das im stressigen Schulalltag an ohne missionarisch zu wirken? Gerade wenn es keine regelmäßigen Teamsitzungen gibt, in denen sich zu Anliegen empathisch und offen ausgetauscht wird, ist es schwer, Veränderungsprozesse zu initiieren.
Teil des Kollegiums Widerwillens
Um zu betonen, dass Lehrer:innen ihre Arbeit eher allein erledigen, bevorzuge ich den Begriff der:s Einzelgänger:in. Rückblickend hätte ich mich vielleicht an meiner letzten Schule als eine solche bezeichnet. Mittlerweile ist mir jedoch klar geworden, dass jede Lehrperson auch im Alleingang stets Teil des Kollegiums ist. Wenn ich z. B. als einzelne Lehrer:in Entscheidungen entgegen des schulinternen Lehrplans treffe (z.B. in der Lektürewahl), andere Leistungsformate wähle und Unterricht offener bzw. anders gestalte, individuelle Verabredungen mit den Lernenden vereinbare, dann ist das wohlmöglich eine Entscheidung für meine fachpersönliche Integrität. Gleichzeitig ist es jedoch eine Entscheidung gegen das Team, die an der Schule gültigen Maßstäbe und schulinterne Verabredungen. Spätestens bei der Notengebung und unterrichtsübergreifenden Themen kann ich kaum bzw. nicht im Alleingang handeln. Aus Sicht der Kolleg:innen sind deren Bedürfnisse nach Leistung, Verlässlichkeit, Transparenz und Gemeinschaft nicht erfüllt. Den Lernenden fehlen vielleicht sogar Vergleichbarkeit und Gerechtigkeit. Ich kann eigentlich in keinem Kollegium ein:e Einzelgänger:in sein, denn es herrschen, teilweise unausgesprochen, Werte, nach denen die Mehrheit handelt und die auch den Lernenden vertraut sind. Trage ich diese nicht, dann ist fast jede Entscheidung entweder eine gegen Integrität oder eine gegen Kooperation bzw. Zugehörigkeit. Diese Grundbedürfnisse auf Dauer nicht zu erfüllen, führt jedoch zu einer hohen Belastung, Grenzüberschreitungen, Verletzungen und das macht krank.
Hardliner oder Softie?
Die große Mehrheit hat solche existentiellen Konflikte wahrscheinlich nicht. Was ich jedoch an allen Schulen erlebt habe, sind die Herausforderungen in Bezug auf die Durchsetzung der Schulordnung und anderer Absprachen, wenn Kooperation fehlt. In jedem Kollegium gab es mehrfach Diskussionen, wie mit mobilen Endgeräten umzugehen sei. Wegnehmen oder nicht? Teilweise erlauben und wenn ja, für wen und in welchem Rahmen? Für wen gelten die Regeln? Dürfen Lehrpersonen ihr Handy im Unterricht benutzen oder gilt das Handyverbot für alle Beteiligten? Schließlich wurde meist eine altersbezogene Regelung festgelegt, die zwischen Sekundarstufe 1 und 2 unterschied. Nun hieß es also als Kollegium das Handyverbot durchzusetzen. Die erste Schwierigkeit bestand darin herauszufinden, wie alt der Lernende war, der da gerade unerlaubt auf dem Pausenhof das Handy benutzte. Wenn es eingesammelt werden sollte, war es nun also ein sich anbahnender Konflikt mit potentiell mildem Ausgang („Beim nächsten Mal sammle ich es aber wirklich ein!“) oder Eskalation (Beschimpfung, Flucht, Tränen, wütendes Elterngespräch). Nun gab es Kolleg:innen, die die Regelung hundertprozentig durchsetzten oder hundertprozentig ignorierten. Dies wiederum war für die „Hardliner“ problematisch, denn sie kämpften nicht nur gegen Handys, sondern auch mit ihren Kolleg:innen. Wenn nicht alle Beteiligten Verabredungen mittragen, dann fehlt auch für die Lernenden eine gewisse Verbindlichkeit und es wird vielmehr, je nach Aufsichtsperson, ein taktisches Manövrieren. Sinn und Wert einer bestimmten Verabredung sind wahrscheinlich sowieso meist nicht klar. Wie erleichternd wäre es, wenn Verabredungen gemeinsam entwickelt, eingefordert und ggf. angepasst werden würden!
Ensemble, c’est tout
Im Austausch mit Lehrpersonen und in der Reflexion meiner Erfahrungen an Schule wurde mir nochmal klarer, wie wichtig Zusammenarbeit für die Selbstwirksamkeit und Präsenz der Pädagog:innen, für eine langfristige Lehrergesundheit sowie die gelingende Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist. Sei es das gemeinsame Gestalten einer Schul-, Gesprächs- und Verabredungskultur, die Unterrichtsgestaltung oder der Umgang mit herausforderndem Verhalten: Ohne Kooperation kann eine Schule langfristig nicht erfolgreich sein. Kooperative Lernformen fördern nicht nur Sozialkompetenzen, sondern schaffen vielfältige Freiräume, um als Lernbegleiter:in Schüler:innen zu beobachten, in ihrem Lernprozess zu unterstützen und Entwicklung nachhaltig zu ermöglichen. Außerdem kommen die Lernenden ins Schwitzen und nicht die Pädagog:innen. Wenn sinnvolle Verabredungen gemeinsam entwickelt und getragen werden, erhöht sich deren Wirksamkeit und erleichtert damit gleichzeitig deren Durchsetzung. Dies gilt auch für einen gemeinsamen Umgang mit Störungen, Gewalt oder Mobbing. Die Wirkkraft ist viel höher und nachhaltiger, wenn sich ein Team gemeinsam dagegen stellt und gemeinsam Maßnahmen ergreift, um wieder mit dem betreffenden Kind in Beziehung zu treten. Wie wäre es, wenn sich ein Kollegium einmal die Zeit nimmt, gemeinsame Werte zu bestimmen und zu überlegen, woran diese Werte im Schulalltag oder in der Schulordnung sichtbar werden können? Auf Verwaltungsebene wäre es darüber hinaus auch sinnvoll, den Schulen mehr Spielraum bei Einstellungen zu ermöglichen, also nicht nur die Examensote, sondern auch pädagogische Vorstellungen zu berücksichtigen.
Ich habe zuletzt dank des Ansatzes der Neuen Autorität wieder einmal den Mehrwert von Kooperation und Unterstützung erfahren. Mehr dazu erfährst du in meiner Einführung am 27.5.!
Wie ein wertschätzendes Miteinander im Klassenraum gelingen kann, zeige ich dir in dieser digitalen Fortbildungsreihe.
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