Vor einigen Monaten, wahrscheinlich ist es schon ein Jahr her, sitze ich mit einer guten Freundin im Café und erzähle ihr mal wieder Anekdoten aus meinem Schulalltag, in denen ich mich hilflos erlebe und unzufrieden bin. Meine Freundin reagiert empört und schockiert. „Mensch Rebi, schreib doch mal einen Blog !“ Diese Idee wird mich nicht wieder loslassen und doch verwerfe ich sie zunächst für eine ganze Weile. Wen würde interessieren, was ich an einem normalen Gymnasium erlebe? Was davon möchte ich teilen und vor allem mit welchem Ziel? Gibt es nicht schon zahlreiche Blogs von Lehrer*innen und Schüler*innen? Füllen satirische oder furchtbar ernste Darstellungen des hiesigen Schulsystems von (ehemaligen) Lehrer*innen nicht bereits Regale in den Buchhandlungen? Gibt es nicht auch schon zahlreiche Initiativen und Anregungen, wie konstruktiv und lösungsorientiert bestimmten Schwachstellen begegnet werden kann? Braucht es dann wirklich nochmal die x-te Berichterstattung?
Ein paar Wochen später habe ich unzählige Gespräche geführt und von meiner Unsicherheit und Ohnmacht erzählt. Wieder einmal kehre ich frustriert nach Hause zurück und stehe in der Küche mit meinem Lieblingsmenschen. Ich nöle und schimpfe über Banales aus der Schule. Plötzlich sehe ich mich von oben und erschrecke zutiefst. Ich bin eine Lehrerin, die sich nur noch echauffieren kann und in keinster Weise konstruktiv ist, die sich über Kleinigkeiten aufregt, die verbittert und frustriert ihre eigene Unzufriedenheit über ihre Mitmenschen ungefragt ausschüttet. So wollte ich nie sein! Als ich meine Bestürzung mitteile, wird mir meine Eingebung bestätigt: „Ja, du trittst gerade genauso auf.“ Es ist also höchste Eisenbahn, etwas zu tun.
Meine Verzweiflung und Hilflosigkeit der letzten Monate sind derweil einer Zuversicht, Vorfreude und Kraft gewichen, denn ich habe meine berufliche Vision entwickeln können. Das verdanke ich wunderbaren Menschen an meiner Seite, die mir Liebe, Offenheit, Vertrauen und Sicherheit schenken. Diese Vision konnte auch entstehen, weil ich die gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall R. Rosenberg kennengelernt habe. Ich konnte mich mithilfe dieser lebensbereichernden Sprache mit mir verbinden, was mitunter schmerzhaft und schockierend war. Ich konnte mit anderen Menschen in Beziehung treten, was wiederum sehr bereichernd war und ist. Ich habe mich noch nie als so autonom und selbstwirksam erlebt.
Mittlerweile dominieren die Freude und Dankbarkeit über mein Wachsen, über die erlangte Klarheit, über mehr Authentizität und vor allem über einige Schritte hin zur Integrität. Zu letzterer gehört auch, dass ich ausspreche, was ich erlebe und fühle und dass ich mich klar abgrenze. Das wurde mir zuletzt bei Maike Plaths Blog klar. Sie hat mich allein durch ihr Sosein darin bestärkt, meinen bisherigen Weg als „satte Kartoffel“ nicht auf Kosten meiner Integrität einfach so weiterzugehen. Auch wenn dies gegebenenfalls bedeuten kann, einen sicheren Rahmen zu verlassen.
Und meinen Blog aus meinem Leben als Gymnasiallehrerin? Den schreibe ich auf der Grundlage der gewaltfreien Kommunikation. Wie erlebe ich die Dynamik zwischen Lehren, Lernen und Beziehung? Welche Gefühle kann ich bei mir und anderen wahrnehmen? Welche Bedürfnisse werden nicht erfüllt und was ändert sich demgegenüber, wenn grundsätzliche Bedürfnisse erfüllt werden können? Wie könnte das in der pädagogischen Praxis aussehen?
Zugegeben, der Anfang fällt mir schwer. Dieser Blog kostet mich auch Mut, denn ich öffne mich und teile mitunter sehr persönliche Erlebnisse. Wie werden die Leser*innen darauf reagieren? Schaffe ich es mich klar ausdrücken ohne wieder in den Nölsprech einer frustrierten Lehrerin oder in einen Anklagemodus zu verfallen?
Eines möchte ich vorwegnehmen. Es geht mir keinesfalls um eine Generalabrechnung oder Pauschalverurteilung. An meinen bisherigen Stationen habe ich viele herzliche, empathische, engagierte und klare Pädagog*innen getroffen, deren Begegnungen mit Schüler*innen von Respekt, Vertrauen und Offenheit geprägt waren. Die Schullandschaft ist genauso bunt wie die Menschen, die darin lernen und arbeiten. Gleichzeitig habe ich in eher „dominanzorientierten“ Einrichtungen Situationen voller Widersprüche erlebt, die es nicht einfach zu übergehen gilt. Wenn ich mich als Lehrerin mitunter so hilflos und verzweifelt fühle, wie geht es dann den Kindern und Jugendlichen?