Im Anschluss an eine Hospitation wird eine Unterrichtsstunde gemeinsam mit der zukünftigen Lehrkraft in Bezug auf unterschiedliche Faktoren ausgewertet. Grundlage sollte dabei immer der wertschätzende Blick auf einen individuellen Entwicklungsprozess und die höchst unterschiedlichen Rahmenbedingungen sein (Verhältnis zur fachbegleitenden Lehrkraft, Einsatz an der Ausbildungsschule, private Umstände, Ausbildungskontext, Verhältnis zum Fachleiter/der Fachleiterin etc.). Auch wenn ich diese Gespräche nun nicht mehr führe, so höre ich mich doch noch so oft nach der ersten Stunde sagen: „Versuchen Sie, Ihre Rückmeldungen mehr zu variieren, auch mal durch Gestik und Mimik!“ Also versuchten die Referendar:innen dann in der Folgestunde variantenreicher zu loben : „ Très bien! Super! Correct! Voilà! C’est ҁa!“ und nickten und lächelten verhalten oder auch mal deutlicher. Während ich das hier aufschreibe, wird mir nochmal viel bewusster, wie absurd das eigentlich war. Ich würde heute diese Empfehlung nicht mehr so aussprechen, schon allein, weil wir als Berufseinsteiger:innen so viele Erwartungen erfüllen müssen und die spontane Reaktion auf Lernende gerade zu Beginn herausfordernd ist, vor allem wenn eine Fachleiterin plus x-Personen mal „gucken“ kommen.
Einmal Croque Monsieur, bitte!
Gern wird zum Thema Feedback und Loben immer noch die Sandwich-Methode beworben: Eine Schicht Lob- eine Schicht Kritik- eine Schicht Lob. Dann fällt es dem Gegenüber nämlich angeblich viel leichter, die Kritik anzunehmen, der Fokus liegt weniger auf dem Fehler. Das endet dann meistens in der verkürzten Struktur „Du hast interessante Punkte genannt, ABER…“, weil mir auf die Schnelle mitunter nicht 2 zu lobende Dinge einfallen und es mir eigentlich darum geht, meine Kritik loszuwerden.
Nun versetze ich mich in die Lage des anderen und stelle mir vor, jemand würde mir sein Sandwich servieren. Im besten Fall nehme ich das Lob noch wahr und höre auch die Kritik. Aber lerne ich dann etwas daraus? Fühle ich mich wertgeschätzt und kommen wir auf Augenhöhe in den Austausch? Ist es im Normalfall nicht eher so, dass ich nur die Kritik höre, das Lob als manipulativ empfinde und mich vor allem nicht als gesehen erlebe? Ich spiele den Dialog mal eben gedanklich in einem anderen Kontext durch, z.B. am Abendbrottisch. „Ach Schatz, du hast toll den Tisch gedeckt, aber leider die Spülmaschine falsch ausgeräumt. Trotzdem super, dass die jetzt wieder leer ist.“ OK, ich gebe zu, das ist ziemlich unrealistisch. So redet doch keiner! Oder doch?
Konstruktivismus lässt grüßen
Für mich beginnt das Problem schon bei der Klassifizierung von Schüler:innenantworten, denn es liegen ihr primär die Kategorien „richtig“ und „falsch“ zugrunde . Diese scheinbar statischen Begriffe sind so fest in unserem Denken und Sprechen verankert, dass sie kaum hinterfragt werden. Doch wer legt eigentlich fest, in welcher Situation eine Aussage als korrekt oder nicht korrekt eingeordnet werden kann? Kommt es nicht ebenso in scheinbar offensichtlichsten Situationen immer auch auf die Perspektive an? Wie schnell hört mein Gegenüber: „Du bist falsch!“ Gerade für Kinder und Jugendliche sind Rückmeldungen innerhalb der Lerngruppe oft schambesetzt und so meldet sich ein Kind das nächste Mal vielleicht nicht mehr, wenn die Frustrationstoleranz oder das Kompetenzerleben gering sind. Für Letzteres braucht es nämlich, z.B. laut Deci und Ryan, ein formatives und wertschätzendes Feedback.
Wenn Lernende dann anhand der Kategorien „gut“ oder „schlecht“ eine Rückmeldung bekommen, dann ist dies allerdings aus meinen Augen nicht wertschätzend, selbst mit der besten Absicht dahinter nicht. Auch bei diesen relativen Begriffen und allen Varianten kann ich fragen, auf welche Bezugsgröße sie sich beziehen und ob diese zwischen den Beteiligten transparent und übereinstimmend ist. Was für den einen gut zu sein scheint, wäre für einen anderen eher ein Scheitern. Sobald jedoch eine Person die Definitionsmacht darüber hat, ob etwas richtig oder falsch ist, dann begegnen sich die Beteiligten nicht auf Augenhöhe. Schließlich erlebe ich mich bei einer Pauschalrückmeldung kaum oder gar nicht gesehen und selbstwirksam. Es hat eher etwas von Erfolg und Niederlage in Bezug auf das Wertesystem der Lehrkraft anstatt der wertschätzenden Perspektive auf meinen Lernprozess.
Hier hat mir die Gewaltfreie Kommunikation nicht nur sprachliche Alternativen geliefert, sondern nochmal verdeutlicht, wie wichtig es ist, genau zu beobachten und erstmal darüber in den Austausch zu gehen. Schon durch das Sprechen über die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Perspektiven und das Schildern dessen, was ich bei dem anderen gehört oder gesehen habe, erhöht sich die Selbstwirksamkeit. Wer sagt denn eigentlich, dass ich immer Äußerungen von Lernenden bewerten muss, auch wenn ich keine Note gebe?
Eine kleine Kritik hätte ich aber!
Nun stehen wahrscheinlich alle Menschen in Beziehungen vor der Herausforderungen, Kritik konstruktiv und wertschätzend zu äußern. Wie mache ich das, wenn ich weder falsch noch schlecht als Kategorien verwenden will, weil mir Gleichwürdigkeit wichtig ist? Gar nicht mehr kritisieren? Nein. Ein erster Schritt wäre für mich beispielsweise, Kritik nicht hinter einem Lob zu verstecken, das damit wertlos zu werden scheint. DArüber hinaus gilt es, eine respektvolle und gleichzeitig authentische Ausdrucksweise zu finden, indem ich mich mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen verbinde und diese respektvoll mitteile.
Konkrete Möglichkeiten, wie ein wertschätzendes Feedback in Schule aussieht und funktionieren kann, lernst du in meinem Workshop am 26.1.21.